Was bedeutet der neue „Nestlé“-Zucker für den Verbraucher?
Zucker ist in aller Munde und davon viel zu viel – doch Konsumenten und auch Politik wachen auf. Erst im April hat Großbritannien eine Zuckersteuer auf zu süße Softdrinks erhoben, denn gesundheitliche Folgen wie Diabetes Typ 2 oder Übergewicht verursachen hohe Kosten im Gesundheitssystem. Aber auch die Industrie reagiert: So hat „Nestlé“ einen neuen Zucker erfunden, mit dem man für die gleiche Süße weniger Zucker braucht. Stehen wir vor einer gesunden Zuckerrevolution?
Welche Auswirkungen hat Zucker auf den Körper
Zucker hat einen schlechten Ruf. Zu Recht – denn ein übermäßiger Zuckerkonsum kann zu Abgeschlagenheit, Magen- und Darmproblemen, Hautkrankheiten, Schlafstörungen, Diabetes, Übergewicht und sogar Depression führen.
Wann auch immer der Körper Zucker aus der Nahrung verwertet, löst dieser die Produktion von Insulin aus. Insulin ist ein Hormon der Bauchspeicheldrüse. Es hat die Aufgabe den Zucker aus dem Blut zu entfernen und ihn an alle Körperzellen und Organe zu verteilen, die daraus Energie gewinnen.
Je mehr Zucker im Blut, desto schneller steigt der Insulinspiegel an – und desto schneller fällt der Blutzuckerspiegel danach auch wieder ab. Die kurzfristige Folge sind Heißhungerattacken, eine der langfristigen Folgen kann Diabetes sein.
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Und wir essen viel zu viel von dem süßen Weiß. Unsere tägliche Zuckerbilanz beträgt im Schnitt 29 Stück Würfelzucker. Das ist fast doppelt so viel, wie die „Weltgesundheitsorganisation“ (WHO) für maximal tolerierbar hält und fast die vierfache Menge von dem, was sie empfiehlt.
Den meisten Zucker nehmen wir über verarbeitete Lebensmittel zu uns: Softdrinks, Fruchtjoghurts oder Frühstücksflocken – aber auch fertige Salate und selbst deftige Fertiggerichte können wahre Zuckerbomben sein.
„Nestlé“ und der Rückzug vom Zucker
Auf seiner Homepage schreibt der Lebensmittelkonzern „Nestlé“ (rund 75 Milliarden Euro Umsatz 2017): „Weniger Zucker in unseren Nahrungsmitteln und Getränken ist eine unserer wichtigsten Verpflichtungen.“
Weltweit habe „Nestlé“ deshalb in den letzten Jahren – laut eigenen Angaben – 8.600 Tonnen Zucker aus ihrem Lebensmittel- und Getränkesortiment entfernt. Bis zum Jahr 2020 will der Lebensmittelriese 18.000 Tonnen Zucker einsparen. Dabei ist es dem Unternehmen wichtig, nicht primär auf Zuckerersatzstoffe zu setzen.
Armin Valet von der „Verbraucherzentrale Hamburg“ sieht darin weniger die Sorge um den Verbraucher, als den Versuch das Image des Unternehmens aufzupolieren. Gegenüber CodeCheck gibt er zu bedenken:
„Nestlé steht bei vielen Verbrauchern für ungesunde Industrienahrung und hat im Sortiment wahre Zuckerbomben. Angefangen von Müslisorten (z.B. Knusper-Müsli Lion) mit mehr als 25 Prozent Zucker, bis hin zu der Marke Nesquik oder Süßigkeitenmarken wie Kitkat. Das Unternehmen will sich strategisch mehr auf die Bereiche Gesundheit und Wellness konzentrieren, um die Konsumententrends aufzugreifen. In den USA soll zum Beispiel die Süßigkeitensparte in naher Zukunft verkauft werden.“
Und so wird der neue Zucker hergestellt
Der Global Player „Nestlé“ aus dem schweizerischen Vevey tüftelt seit 2015 an seiner neuen Zuckerart. Dabei wird herkömmlicher Kristall-Zucker mit Milchpulver und Wasser gemischt und unter Druck in einen Sprühtrockner gesprüht. So entstehen pulverartige Teilchen, die von innen aussehen wie ein löchriger Schwamm.
Das Endprodukt besteht somit nicht wie der gängige Industriezucker aus festen Kristallen, sondern hat eine unregelmäßige und poröse Struktur. Die sorgt dafür, dass sich der Zucker im Mund schneller auflöst und so süßer schmeckt, obwohl in dem Produkt insgesamt weniger Zucker benötigt wird. Sobald die neue Zuckerstruktur patentiert ist, soll sie in der Lebensmittelproduktion großflächig eingesetzt werden.
Wie genau dieser neue Zucker im Körper wirkt, kann man noch nicht sagen, erklärt Armin Valet von der „Verbraucherzentrale Hamburg“: „Es ist weiterhin Zucker mit den gleichen Risiken wie kristalliner Zucker. Abzuwarten bleibt, ob dann tatsächlich der Zuckerkonsum sinkt. Das wäre die Voraussetzung, um von einem Fortschritt zu sprechen.“
Sind die neuen Produkte gesünder?
Wenn es nach „Nestlé“ geht, dann verkörpert der neue Zucker genau diesen Fortschritt. Erst vor kurzem brachte der Konzern einen Schokoladenriegel heraus, der dank der neuen Struktur 30 Prozent weniger Zucker enthält als vergleichbare Produkte.
Das ist auf jeden Fall auch gut für die Industrie: Denn weniger Zucker, das klingt auch nach gesünderen Produkten und so lässt sich gut mit Labels wie „weniger Zucker“ oder „zuckerreduziert“ werben.
Doch: „30 Prozent weniger Zucker kommt nicht von ungefähr. Dieser Wert muss erreicht werden, um nach der „Health-Claims-Verordnung“ auch mit der Aufschrift „weniger Zucker“ werben zu können“, erklärt Valet. Die „Health-Claims-Verordnung“ wurde 2006 europaweit eingeführt und regelt nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln. Wird ein Produkt mit Aussagen wie „fettarm“ oder „reich an Vitamin C“ beworben, muss das auch stimmen.
Aber auch Regulierungsmaßnahmen müssen kritisch beobachtet werden. Beispiel: Die seit dem 6. April diesen Jahres erhobene Steuer auf stark zuckerhaltige Getränke in Großbritannien.
Die Verbraucherorganisation „Foodwatch“ hat nun herausgefunden, dass der Großteil der Hersteller seit der Ankündigung der Zuckersteuer im März 2016 die Zuckermengen deutlich reduziert hat. So enthalten die vom Coca-Cola-Konzern hergestellten Getränke Fanta und Sprite nun nur noch 4,6 Gramm und 3,3 Gramm Zucker pro 100 Milliliter (in Deutschland enthalten die Getränke etwa 9 Gramm Zucker). Allerdings wird der Zucker wird zum größten Teil einfach durch Süßstoffe ersetzt.
Reduziert bedeutet also noch lange nicht gesund, kritisiert Armin Valet: „Selbstverständlich ist es besser, wenn weniger Zucker in den Produkten ist, aber es darf auf keinen Fall der falschen Rückschluss gezogen werden. Ein überzuckertes Müsli mit ursprünglich fast 30 Prozent hätte dann immer noch über 20 Prozent und bleibt trotzdem eine Zuckerfalle.“
Gesellschaftliches Umdenken?
Zwar wissen immer mehr Menschen, wie ungesund ein zu viel an Zucker ist – ein drastischer Rückgang des Zuckerkonsums lässt aber nach wie vor auf sich warten.
„Das liegt auch daran, dass Zucker oft in der Zutatenliste versteckt ist und die Verbraucher gar nicht merken, wie viel Zucker sie da grade zu sich nehmen. Das sind dann vermeintlich gesunde Zutaten wie Fruchtsaftkonzentrate oder Traubensüße, die aber praktisch fast nur aus Zucker bestehen“, so Armin Valet.
Um gegen den Zuckerkonsum vorzugehen wird aus der Sicht der „Verbraucherzentrale Hamburg“ auch zu wenig auf politische Ebene getan: „Auf freiwillige Vorstöße aus der Lebensmittelindustrie zu warten ist viel zu wenig. Wir brauchen eine Ampelkennzeichnung und wir könnten uns auch als ersten Schritt eine Steuer auf Softgetränke mit viel Zucker vorstellen. Gleichzeitig sollten aber Steuern für gesunde Lebensmittel wie Obst und Gemüse sinken.“
Dass wir zu viel Zucker zu uns nehmen, daran besteht kein Zweifel. Daran wird auch die Zuckereinsparung durch neue Zuckerarten in Süßigkeiten nicht grundlegend etwas ändern. Um Krankheiten vorzubeugen, dürfen wir uns wohl auch in Zukunft nicht ausschließlich auf die Politik oder große Lebensmittelkonzerne verlassen – eine gesunde, ausgewogene Ernährung liegt auch in unserer Hand.