Vegan = gesund. Wie Firmen den Trend für ihr Marketing nutzen
Der Schriftzug „vegan“ auf einem Lebensmittel, bedeutet nicht, dass es auch gleichzeitig gesund ist. Vielen Verbrauchern ist das klar. Trotzdem nutzen Lebensmittelhersteller die ungeschützte Bezeichnung als Marketingmasche. Wie sollten Verbraucher eine solche Beschriftung bewerten? Ein Kommentar.
Vegane Ernährung hat heute ein besseres Image als noch vor einigen Jahren. Früher galten Menschen, die vegan lebten, als militante Tierschützer, als esoterische Spinner oder mindestens als Spaßbremsen beim Grillfest. Hier hat sich etwas verändert. Mittlerweile wird sogar von einem „Trend“ zur veganen Ernährung gesprochen – obwohl gerade mal 1,6 Prozent der Menschen in Deutschland sich rein pflanzlich ernähren. Trotzdem bedienen sich immer mehr Hersteller der Bezeichnung „vegan“ für Lebensmittel und Kosmetika – ein Marketingtrick, wie Wirtschaftssoziologe Dr. Oliver Errichiello gegenüber der „NDR“-Sendung „Markt“ erklärt.
„vegan-vegetarisch“ – ein positiver Begriff?
Dr. Errichiello erklärt, dass „vegan“ und „vegetarisch“ positiv besetzte Begriffe seien, mit denen Verbraucher einen guten Umgang mit Natur und Tieren assoziieren. Eine Kennzeichnung als „vegan“ sorge in einem immer größer werdenden Sortiment dafür, dass Verbraucher sich orientieren können. Ein Lebensmittel ohne tierische Inhaltsstoffe? Da bleiben nur Gemüse und Obst übrig, und die gelten als gesund, so der Markenexperte.
Wie irreführend eine so vorgenommene Einordnung sein kann, macht die Kennzeichnung von Pommes oder Kartoffelchips deutlich. Denn mit dem Zusatz „vegan“, so Dr. Errichiello, habe man plötzlich das Gefühl, ein hochwertiges Lebensmittel zu erhalten. Für den Körper sind diese Produkte natürlich weder besonders wertvoll noch gesund. Daher hält Dr. Errichiello die Verwendung der Kennzeichnung für eine geschickte Marketingstrategie, die aufgeht. Vor allem, da es noch keine verbindliche und einheitliche Definition von „vegan“ gibt. Der Begriff ist bisher nicht lebensmittelrechtlich geschützt.
Wann ist eine Kennzeichnung nötig, wann überflüssig?
Aber stimmen die Annahmen des Markenexperten? Wer sich selbst vegetarisch-vegan ernährt, muss müde lächeln, wenn in der Sendung des „NDR“ von einem positiv besetzten Begriff gesprochen wird. Denn auch heute noch erfahren Vegetarier und Veganer viel Ablehnung für ihre Ernährungsweise. Regelmäßig müssen sie herhalten – ob für einen guten Witz, für Schlagzeilen im beginnenden Sommerloch oder sogar im politischen Kontext. Zum Beispiel als der vorgeschlagene „Veggieday“ in Behörden und Mensen zu einem weiteren „Anschlag der Verbotspartei“ wurde und letztlich den Wahlkampf mitentschied. Daher ist die Besetzung der Begriffe „vegetarisch/vegan“ wohl eine Frage der Perspektive.
Ebenfalls eine Frage der Perspektive ist es, ob die Kennzeichnung als „vegan“ immer nötig ist. Im „NDR“-Beitrag fragen sich Verbraucher mal kritisch, mal belustigt, warum Pommes extra als „vegan“ gekennzeichnet werden müssen. Denn woraus sollten sie sonst bestehen? Tatsächlich aber finden eine Vielzahl von tierischen Produkten den Weg in unsere Lebensmittel.
Die große Menge an tierischen Produkten, die von Lebensmittelherstellern verarbeitet werden, ist für Vegetarier und Veganer ein ständiger Streitpunkt. Denn Gelatine, Eipulver oder beispielsweise Milchzucker werden in unserer Nahrung verarbeitet, ohne dass wir uns den Gebrauch erschließen können. So sind die Hinweise auf den Verpackungen für die rund acht Millionen Vegetarier in Deutschland nötiger, als der „NDR“ meint. Gelatine in Frischkäse, Kalbslab in Chips, mit Fischblase geklärtes Bier und Wein, Gelatine in Marshmallows, Fischbrühe in Miso-Suppe, tierisches Lab in Pesto, mit Gelatine überzogene Cerealien sowie Konservierungsmittel aus Eiern und jede Menge Milchzucker in Fertiggerichten sind gängige Praxis in der Lebensmittelproduktion. Unwissenheit der Verbraucher ist, wie „Utopia“ schreibt, in diesem Bereich ein großes Problem.
Hier kann die Kennzeichnung helfen. Nicht nur den Menschen, die sich für eine Ernährung ohne tierische Produkte entscheiden, sondern auch bewussten Verbrauchern, die einfach auf unnötige tierische Bestandteile verzichten wollen. Ein Problem dabei ist allerdings die fehlende Rechtsverbindlichkeit der Kennzeichnung „vegan“, wie sie auch bei Dr. Errichiello anklingt.
Eine verbindliche Definition steht aus
Wie der „VEBU“ erklärt, gibt es aktuell weder auf EU-Ebene noch in Deutschland rechtsverbindliche Kriterien, die vegane und vegetarische Lebensmittel erfüllen müssen. Die Bezeichnung „vegan“ ist somit nicht geschützt. Das führe zu Unsicherheit bei Verbrauchern und Herstellern, erklärt die Interessenvertretung vegetarisch und vegan lebender Menschen, und setzte sich zusammen mit den Verbraucherschutzministern der Länder für eine rechtsverbindliche Definition des Begriffs ein.
Diese Definition gilt für Lebensmittel und Kosmetika gleichermaßen und soll Einheitlichkeit gewährleisten. Gerade in Kosmetik werden ebenfalls sehr viele tierische Produkte verarbeitet beziehungsweise hergestellte Cremes, Lotionen und Lippenstifte an Tieren getestet. Verbraucher, die darauf verzichten wollen, können sich bisher an zwei etablierten Siegeln orientieren: Das beblätterte „V“ des „VEBU“ und die Veganblume der „Vegan Society England“. Sie werden von den Organisationen verliehen und richten sich bereits heute nach der vorgeschlagenen einheitlichen Definition.
Die „Verbraucherschutzzentrale Hamburg“ hat einige weitere Kennzeichnungen gesammelt und weist darauf hin, dass durch die noch ausstehende lebensmittelrechtliche Definition ein reiner „vegan“-Schriftzug auf einem Lebensmittel nichts bedeuten muss. Verbraucher, die sich sicher sein wollen, sollten sich daher an den zwei etablierten Siegeln orientieren und andere Kennzeichnungen kritisch bewerten.
Um gleichzeitig nicht auf eine mögliche Marketingmasche hereinzufallen, hilft es, wenn wir den Begriff „vegan“ nicht mit „gesund“ gleichsetzen – sondern mit „tierleidfrei“ oder „ohne tierische Inhaltsstoffe“. Und das können durchaus auch ungesunde Lebensmittel sein.