Unschöne Inhaltsstoffe für schöne Lippen
Schöne Lippen dank unschöner Inhaltsstoffe? Leider ja. „Öko-Test“ hat 18 rote Lippenstifte getestet und stellt den meisten konventionellen Produkten ein schlechtes Urteil aus. Am besten schneiden noch die sechs naturkosmetischen Produkte ab. Unterm Strich aber rasseln die meisten der getesteten Lippenstifte durch. Die Gründe sind unter anderem bedenkliche Farbstoffe, Titandioxid und mangelnde Bemühungen vieler Hersteller, das Problem mit der Kinderarbeit für das Glitzerpigment Mica in den Griff zu bekommen.
- Bestenfalls „befriedigend": Leider kann „Öko-Test“ keinen Lippenstift im Test empfehlen.
- Notenabzüge gibt es für Inhaltsstoffe wie Titandioxid, Paraffine, MOAH, Silikone und hautreizende Farbstoffe.
- Tipp: Trage Lippenstift immer nur sparsam und lediglich zu ausgewählten Anlässen auf. So kannst Du wenigstens die aufgenommene Menge bedenklicher Substanzen reduzieren.
Wusstest Du, dass sich bei jedem Bissen, Kauen oder einfachem Über-den-Mund-Lecken ein Teil der Paste von Deinen Lippen löst und damit in Deinen Körper wandert? Das können bis zu 57 Milligramm am Tag sein. Menschen, die täglich ihre Lippen schminken, essen so rund fünf Lippenstifte im Jahr.
Deshalb bewertet „Öko-Test“ die 18 Lippenstifte im Test auch kritischer als viele andere Kosmetikprodukte. Die nicht unbeträchtliche orale Aufnahme macht sie zu einem Sonderfall, an den die Prüfer:innen eher die Maßstäbe von Lebensmitteln anlegen. Das spielt unter anderem bei der Bewertung von Mineralölbestandteilen und des seit Sommer 2022 in Lebensmitteln verbotenen Weißpigments Titandioxid eine Rolle. Aber nicht nur wegen gesundheitlich bedenklicher Inhaltsstoffe verdienen manche Lippenstifthersteller Kritik. Dass für einen roten Kussmund möglicherweise kleine Kinder in illegalen Minen ihr Leben riskiert haben könnten, gefällt „Öko-Test“ ebenso wenig.
Dieses Produkt erhielt die im Test beste Note „Befriedigend“
Bedenklicher Inhaltsstoff (1): Titandioxid
In Lebensmitteln zeigt Dir der Code E171 an, dass sich Titandioxid im Produkt befindet, in Kosmetik verbirgt sich diese Angabe hinter dem Code CI 77891. Lange Zeit galt der Stoff als unbedenkliche Standardsubstanz für eine Vielzahl von Anwendungen. Doch in den vergangenen Jahren häufte sich Kritik. So soll es durch die Einnahme beim Einatmen in der Lunge krebserregend wirken. Inzwischen sorgten Hinweise auf eine erbgutverändernde Wirkung bei der oralen Aufnahme sogar für ein EU-weites Verbot als Lebensmittelzusatzstoff, das am 8. August 2022 in Kraft trat. Die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hatte E171 nach der Sichtung von rund 200 Studien als „nicht mehr sicher“ beurteilt.
In Kosmetik darf Titandioxid bislang noch eingesetzt werden. Doch gerade in Lippenstiften sieht „Öko-Test“ es aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes als risikobehaftet an und wertet es in Kosmetikprodukten, die oral aufgenommen werden, ab. Das gilt auch für die Naturkosmetik und sorgt dafür, dass aus dem Test kein einziger Lippenstift als empfehlenswert hervorgeht. Auf die Nachfrage, ob angesichts des Verbots in Lebensmitteln eine Umstellung auf titandioxidfreie Rezepturen ihrer Lippenkosmetik geplant sei, reagierten die Hersteller überraschend oberflächlich. Häufig verwiesen sie in standardisiert wirkenden Statements darauf, dass Titandioxid in Kosmetik weiterhin erlaubt sei. Das ist schwach.
Bedenkliche Inhaltsstoffe (2): Paraffine und Silikone
Auch Erdölkomponenten wie Paraffine sieht „Öko-Test“ wegen der oralen Aufnahme in Lippenkosmetik besonders kritisch. Gut zu wissen für Dich: In zertifizierter Naturkosmetik sind sie nicht erlaubt. Drei Viertel der konventionellen Produkte setzen aber nach wie vor auf Paraffine als Trägerfette. In dreien davon hat das von „Öko-Test“ beauftragte Labor auch aromatische Mineralölkohlenwasserstoffe (MOAH) nachgewiesen, unter denen krebserregende Bestandteile sein können. Dabei gibt es laut „Öko-Test“ gute natürliche Alternativen, mit denen sich Paraffine ersetzen lassen. Zu ihnen zählen zum Beispiel Bienenwachs.
Silikone wiederum sorgen für eine längere Haftung auf den Lippen, machen Lippenstifte also „kussecht“. Allerdings reichern sie sich in der Umwelt an und fügen sich nicht so gut ins Gleichgewicht der Haut ein wie natürliche Fette und Öle.
Bedenkliche Inhaltsstoffe (3): Farbstoffe
Intensives Rot, mattes Finish – optisch machen die Lippenstifte im Test einiges her. Teilweise aber haben diese Farben es in sich: Vor allem die Azofarbstoffe Tartrazin (CI 19140) und Gelborange S (CI 15985) sind keine harmlosen Färbemittel. Die EFSA warnt davor, dass Tartrazin bei besonders sensiblen Menschen Unverträglichkeitsreaktionen wie Hautirritationen auslösen kann. In diesem Test färben die Lippenstifte von Douglas, L’Oréal und Dior unter anderem mit Tartrazin. Sieben Lippenstifte enthalten (auch) Gelborange S. Es steht im Verdacht, bei vorbelasteten Personen allergische Reaktionen wie Asthma oder Neurodermitits hervorzurufen.
Dieses Produkt erhielt von „Öko-Test“ die Note „Ungenügend“
Verstoß gegen Menschenrechte für den schönen Schein
Die Tatsache, dass Hersteller für die Produktion von Lippenstiften illegale Kinderarbeit in Kauf nehmen, wirkt sich negativ auf die Testergebnisse aus. Die Rede ist von dem Glitzerpigment Mica, auch Glimmer genannt, das in dekorativer Kosmetik zugunsten einer höheren Deckkraft und für einen strahlenden, schimmernden Glanz eingesetzt wird. Gewonnen wird der Stoff zum Beispiel in Indien, Madagaskar, China und den USA als Mineral aus dem Boden.
Bei der Gewinnung von Mica finden teilweise klare Verstöße gegen die Menschenrechte statt. Vor allem in Indien, woher etwa ein Viertel des weltweit eingesetzten Mica stammt, erfolgt der Abbau häufig in illegalen Minen. Weil die Knochenarbeit kaum genug Geld zum Überleben für die Menschen dort bringt, werden auch kleine Kinder in die bis zu 20 Meter tiefen selbstgegrabenen und ungesicherten Schächte geschickt, um dort den Glimmer aus dem Boden zu kratzen. „Öko-Test“ verweist auf eine Auswertung von Vertical-52-Satellitenbildern durch „Zeit Online“ und die Heinrich-Böll-Stiftung, die im Mai 2022 zeigte, dass die Zahl dieser illegalen Minen in Indien entgegen offizieller Aussage weiter zunimmt. Obwohl Kinderarbeit im Bergbau per Definition zu den schlimmsten Formen der Kinderarbeit zählt und in allen Staaten der Welt verboten ist, wird die illegale Herkunft des Mica durch verschlungene Lieferwege und Zwischenhändler systematisch verschleiert.
Kinderarbeit durch Nachweise sicher ausschließen
Auch wenn die Kosmetikindustrie weder die einzige noch die größte Abnehmerin von Mica ist, trägt die Branche eine ethische Mitverantwortung, findet „Öko-Test“. Mit dieser Haltung verlangte das Testmagazin von Herstellern, die Mica in ihren Rezepturen einsetzen, erstmals Nachweise über deren Herkunft und die Lieferkette. Die Rückmeldungen unterschieden sich teilweise deutlich. Dm übersandte für seine Alverde- und Trend it up-Produkte von der Mine bis zum fertigen Lippenstift eine lückenlose Dokumentation der Lieferkette. Besonders erfreulich dabei ist, dass der Rohstofflieferant das Mica, welches für die beiden Produkte im Test verwendet wurde, aus den USA bezieht. Hier können Kinderarbeit und Menschenrechtsverletzungen beim Abbau ausgeschlossen werden. Andere Hersteller antworteten zwar auf die Fragen, schickten aber trotz mehrfacher Nachfrage dennoch keine Belege für ihre Angaben. Weitere ließen den „Öko-Test“-Fragebogen unbeantwortet.
Einige Anbieter teilten mit, dass sie oder ihre Rohstofflieferanten Mitglieder der Responsible Mica Initiative (RMI) seien. Bei RMI handelt es sich um einen Zusammenschluss von Unternehmen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, Menschenrechtsorganisationen und Unternehmen an einen Tisch zu bringen sowie eine faire und verantwortungsvolle Mica-Lieferkette zu etablieren. Das findet das Testmagazin einen grundsätzlich lobenswerten Ansatz, möchte in diesem und auch in künftigen Tests anhand produktbezogener Belege selbst überprüfen können, ob Kinderarbeit ausgeschlossen werden kann oder nicht.