Fast alle jungen Menschen wollen weniger Fleisch essen
Die Nachfrage nach günstigem Fleisch ist größer denn je. Der Fleischkonsum steigt weltweit, obwohl die damit verbundene Massentierhaltung nachweislich Umwelt, Tieren und Menschen schadet. Ein Umdenken und neue Regeln sind unerlässlich. Denn so, wie die Fleischindustrie derzeit funktioniert, kann sie nicht weiterbestehen, zu diesem Schluss kommt der aktuelle „Fleischatlas 2021“. Ein Großteil der jüngeren Generation in Deutschland sieht das bereits genauso.
Kein anderes Lebensmittel wirkt sich in seiner gesamten Produktionskette stärker auf den Klimawandel, den Verlust von Biodiversität sprich biologischer Vielfalt und die Gewässerverschmutzung aus als Fleisch. Ökosysteme und Lebensräume Tausender Menschen werden für den Futteranbau großflächig zerstört. Milliarden Tiere leiden unter unwürdigen Haltungsbedingungen insbesondere in der Billigfleischproduktion. Viehzucht und Fleischverzehr sind darüber hinaus Ursachen für den Ausbruch von Krankheiten, die von Wildtieren auf den Menschen übertragen werden. Welche katastrophalen Auswirkungen dies haben kann, zeigt Covid-19.
Der Fleischatlas, der vom „BUND für Umwelt- und Naturschutz“ zusammen mit der „Heinrich-Böll-Stiftung“ seit 2013 herausgegeben wird, hat auch in diesem Jahr die Themen Fleischkonsum sowie die industrialisierte Produktion von Fleisch beleuchtet. Dabei wurde untersucht, wie sich der Konsum von Fleisch auf die Umwelt, die Gesundheit, die Biodiversität und die soziale Lage der Bauern auswirkt.
Der Appetit auf Fleisch ist immer noch groß
In den vergangenen 20 Jahren hat sich der weltweite Fleischkonsum mehr als verdoppelt. 325 Millionen Tonnen wurden verzeichnet, wobei China mit fast einem Drittel den größten Anteil trägt. Bis 2028 wird er Schätzungen zufolge sogar noch um weitere 13 Prozent steigen. Gründe hierfür sind die gewachsene Bevölkerung und gestiegenes Einkommen. Während die Menge von Rind und Schaf am Gesamtkonsum abnimmt, verzehren die Menschen immer mehr Schwein und Geflügel. Dies liegt vor allem daran, dass in China, in anderen asiatischen Ländern und in Afrika die Lust auf Fleisch wächst, während sie in Deutschland tendenziell sinkt. Innerhalb der EU gilt Deutschland jedoch mit 8.6 Millionen Tonnen pro Jahr als größter Fleischproduzent und die EU mit etwas unter 50 Millionen Tonnen als zweitgrößter der Welt, nach China.
Junge Generation isst weniger Fleisch
Pro Person wurden hierzulande 2019 fast 60 Kilogramm Fleisch konsumiert, wobei Männer im Durchschnitt etwa doppelt so viel Fleisch und Wurst pro Tag verzehren wie Frauen. In Amerika, dem Spitzenreiter, sind es circa 100 Kilo pro Kopf, in Afrika dagegen nur 17 Kilo. Ein positives Zeichen in Richtung fleischärmere Ernährung sendet die jüngere Generation.
Laut einer Umfrage für den Fleischatlas essen 40 Prozent der jungen Generation wenig Fleisch, bereits 13 Prozent ernähren sich vegetarisch oder vegan. 70 Prozent der 15- bis 29-Jährigen wollen die Fleischindustrie nicht unterstützen und würden mehr Geld für Fleisch bezahlen, wenn dadurch die Haltungsbedingungen für die Tiere und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten geschaffen würden. Generell seien bereits 55 Prozent der Verbraucher:innen Flexitarier, die bewusst auch mal auf Fleisch verzichten. Diese Tendenz zeigt sich auch darin, dass der Markt für fleischlose Alternativen wächst. Fachleute rechnen hier mit einem jährlichen Wachstum von 20 bis 30 Prozent.
Massentierhaltung ist ein Klimakiller
Knapp 15 Prozent der globalen Emissionen wird durch die Tierhaltung verursacht. Eine Reform, die den Rückgang des Fleischkonsums vorantreibt, ist also dringend notwendig, um die negativen Auswirkungen auf das Klima zu reduzieren. Die Verbände fordern mindestens um die Hälfte bis 2050. Hier könnte die Wiedereinführung der Regel helfen, dass die Anzahl der Tiere eines Bauern von seiner Fläche abhängen muss. Da zurzeit immer noch mehr Tiere pro Betrieb gehalten werden, könnte diesem Trend damit entgegengewirkt werden. Das Angebot würde sinken.
Ein weiterer Aspekt der Massentierhaltung sind die gigantischen Mengen an Tierfutter wie Soja oder Mais, die benötigt und meist aus Südamerika importiert werden. Die Ausweitung von Anbauflächen wiederum zerstört Wälder und damit wichtige Ökosysteme, was dem Klima ebenfalls massiv schadet. In Brasilien, dem größten Sojaproduzenten der Welt, hat sich die Erzeugung von Soja seit 1990 fast versechsfacht. Der Einsatz von Pestiziden ist um das 9-fache gestiegen. Zwei Drittel der als hoch gefährlich eingestuften Pestizide werden dort im Sojaanbau eingesetzt, darunter auch Glyphosat, das in Deutschland verboten ist. Weltweit werden mehr als 75 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzflächen für die Tierproduktion verwendet. Diese Gebiete könnten besser für die unmittelbare Nahrungsproduktion genutzt werden. Im Idealfall sollten die Bauern ihr Tierfutter selbst anbauen, so die Heinrich-Böll-Stiftung. Massentierhaltung ist zudem häufig mit dem Einsatz von Antibiotika verbunden, das in Fleischproben nachgewiesen wurde.
Fleischwende muss vorangetrieben werden
„Wir brauchen eine Fleischwende“, so die Verbände. Sie fordern konkret: weniger industrielle Fleischproduktion und weniger Fleisch, dafür mehr Qualität und Vielfalt auf dem Acker, im Regal und auf dem Teller. Doch das allein reiche nicht, um effiziente Veränderungen für Tiere und Umwelt voranzutreiben. Und auch der Appell an die Konsumenten sei nicht wirksam genug. Die Politik müsse einen Strukturwandel hin zu einer ethisch vertretbaren Nutztierhaltung in Gang setzen. Dazu sind zumindest EU-weite, einheitliche Standards nötig, um den Import von Billigfleisch aus dem Ausland zu verhindern. Qualität und Tierwohl müssten Vorrang vor dem Preis besitzen.
Corona hat die seit Jahren bestehenden Missstände in der Fleischindustrie für uns alle sichtbar gemacht und zumindest einen weiteren Anstoß für Verbesserungen gegeben. In Deutschland sind eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch von sieben auf 19 Prozent sowie eine Tierwohlabgabe von 40 Prozent pro Kilo Fleisch im Gespräch. Ab 2021 soll zumindest das Kükenschreddern männlicher Tiere ein Ende haben, wie vor kurzem per Gesetz angeordnet wurde. Der diesjährige Ernährungsgipfel der UNO könnte eine potenzielle Möglichkeit bieten, die geforderte, notwendige Fleischwende einzuleiten und einen gemeinsamen, gangbaren Weg zu entwickeln.
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