Wie lange werden Küken in Deutschland noch getötet?
Die Eier produzierende Industrie steht seit Jahren vor demselben Problem: Was tun, mit den rund 45 Millionen männlichen Küken, die keine Eier legen können, aber auch zu langsam Fleisch ansetzen? Bisher wurden diese Eintagsküken kurz nach dem Schlüpfen aussortiert und getötet. Auf der „Internationalen Grünen Woche 2017“ in Berlin stellte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt von der CSU eine neue Technologie vor und verkündete „den Ausstieg aus dieser ethisch und moralisch inakzeptablen Praxis“. Ein Jahr ist vergangen. Was hat sich seither getan?
Küken-Töten aus vernünftigem Grund?
Züchter haben schnell gemerkt: Soll eine Hühnerrasse viele Eier legen, ist das schlecht für ihr Wachstum. Die Küken der Mastrasse setzen stattdessen besonders schnell Fleisch an, und weil sie nach circa sechs Wochen schlachtreif sind, werden hier männliche und weibliche Küken für die Mast genutzt.
Anders sieht das bei Hühnerrassen mit hoher Legeleistung aus, die das Futter vor allem fürs Eierlegen verwerten. Rund 285 Eier legt so eine Henne im Jahr – zehn Mal mehr als ihre Vorfahren. Auch bei diesen Rassen ist jedes zweite Küken männlich, die sich aber nicht schnell genug mästen lassen und damit aus wirtschaftlicher Sicht wertlos sind.
Das Aussortieren der Bruderküken wird als „Sexen“ bezeichnet. Kurz nach dem Schlüpfen werden die Küken noch in den Brütereien mit Kohlendioxid vergast. Zwar hat man sich von der Praxis, Küken lebendig zu Schreddern weitestgehend verabschiedet, rechtswidrig wäre sie trotzdem nicht.
Noch im Jahr 2016 urteilte das Oberverwaltungsgericht Münster, dass das Töten der Bruderküken zulässig ist und nicht mit dem Tierschutzgesetz bricht. Nach § 17 darf kein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund getötet werden. Unwirtschaftlichkeit und fehlende Alternativen für die Betriebe stellen aus gerichtlicher Sicht einen vernünftigen Grund dar.
Politisches Herumeiern
Nicht nur Tierschützer, auch die Politik sieht Handlungsbedarf. Ein bundesweites Verbot, wie es „Die Grünen“ fordern, kommt für Agrarminister Schmidt (CSU) allerdings nicht infrage. Zu groß ist die Sorge, die Brütereien könnten ins Ausland abwandern.
Eine neue Technologie soll stattdessen Schluss machen mit dem massenhaften Töten. Schon 2015 verkündete Schmidt: „Mein Ziel ist, dass das Kükenschreddern 2017 aufhört.“ Während der „Internationalen Grünen Woche“ 2017 in Berlin waren Schmidts Aussagen dann nicht mehr ganz so verbindlich. Da war von einem „Einstieg in den Ausstieg aus dem Kükenschreddern“ bis Ende 2017 die Rede. Aber auch bei dieser Ankündigung hinkt die technische Entwicklung den politischen Versprechungen hinterher.
Frühestens in zwei bis fünf Jahren soll das Verfahren praxistauglich sein, vermutet Grünen-Politiker Harald Ebner, Sprecher für Gentechnik- und Bioökonomiepolitik: „Indem Minister Schmidt bei seinem versprochenen ‚Ausstieg aus dem Kükenschreddern‘ nur auf diesen einen technischen Weg der Geschlechtsbestimmung gesetzt hat, hat er das Scheitern seines Versprechens gleicht mit beschlossen.“
Sexing: Geschlechtsbestimmung im Ei
Immerhin: Das „Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft“ finanziert die Grundlagenforschung für ein neues Verfahren. An der Universität Leipzig wurde gemeinsam mit der Technischen Universität Dresden und der Firma Evonta ein Gerät entwickelt, das das Geschlecht der Küken schon nach wenigen Tagen im Ei bestimmen kann. So sollen statt lebender Küken befruchtete Eier aussortiert werden. Diese können dann in Form von Brut-Ei-Pulver als Proteinfuttermittel für Geflügel und Schweine verwendet werden.
Bis das sogenannte Sexing der Eier flächendeckend eingesetzt werden kann, dauert es aber noch. Bisher wurde lediglich ein Prototyp in einer Brüterei im Landkreis Oldenburg der breiten Öffentlichkeit vorgestellt. „Schnelligkeit und Beprobungserfolg müssen noch optimiert, technische Schwierigkeiten und Gesundheitsprobleme überwunden werden, wie etwa das Eindringen von Keimen ins Ei, wodurch Embryos sterben.“, so Harald Ebner, Obmann im Agrarausschuss des Bundestages. „Allerdings ändert so ein neues technisches Verfahren ja überhaupt nichts am System, in dem die männlichen Küken als nutzloser Ausschuss betrachtet werden.“ Denn auch die Geschlechtsbestimmung im Ei fördert nach wie vor die Zucht von Hochleistungsrassen und das rein wirtschaftliche Denken der Eier- und Geflügelindustrie.
Zweinutzungshühner – das Ei des Kolumbus?
Es gibt aber auch Alternativen zur Hochleistungszucht und dem nutzlosen Aussortieren von Küken. Die „Bruderhahn Initiative Deutschland“ zieht auch die männlichen Küken der Legerasse auf, obwohl die Hähne langsamer und weniger Fleisch ansetzen und dafür etwa die vierfache Futtermenge verbrauchen. Die entstandenen Mehrkosten werden auf die Eier umgelegt. Rund vier Cent ist so ein Ei der Bruderhahn-Initiative dann teurer. Zu kaufen gibt es die Eier in Bio-Läden und Reformhäusern vor allem von der „Ökologischen Tierzucht“, „demeter“ und „Bioland“.
Einige Bio-Landwirte wollen auch mit der Zucht von Zweinutzungshühnern eine nachhaltigere und tiergerechtere Alternative aufzeigen. Bei diesen Zweinutzungshühnern werden beide Geschlechter aufgezogen, weil die Tiere nicht nur entweder zum Eierlegen oder zur Fleischerzeugung taugen. Diesen Weg befürwortet auch Harald Ebner von den Grünen: „Das ist die wirklich zukunftsfähige und nachhaltige Alternative.“ Allerdings leben auch die Hennen und Hähnchen aus Zweinutzungsrassen kaum länger als 1,5 Jahre, bevor sie als Hühnchenfleisch enden.
Dennoch lehnen manche Umweltexperten diese Rassen ab, weil sie aus wirtschaftlicher Sicht weniger effektiv sind und für Eier und Fleisch doppelt so viel Futter brauchen, wie ihre optimierten Artgenossen. Damit produzieren die Tiere auch doppelt so viele Fäkalien, was sich widerum negativ auf die Klimabilanz auswirkt. Für die Zweinutzungshühnern spricht trotzdem, dass das Töten, Sexing und die leistungsorientierte Überzüchtung der Tiere wegfällt.
Die Nachfrage regelt das Angebot
An großen Ankündigungen der Politik und der Geflügelindustrie, das Töten von männlichen Küken zu umgehen, mangelt es nicht. Erst vor Kurzem setzte sich die Geflügelindustrie ein neues Ziel: Bis Ende 2018 sollen die ersten Maschinen zur Geschlechtsbestimmung eingesetzt werden. Bisher waren die Zusagen allerdings nicht sehr verbindlich und auch Grünen-Politiker Harald Ebner befürchtet, dass es keine grundlegend neue Weichenstellung in der Agrarpolitik geben wird. Bis die neue Technik das nutzlose Töten wirklich beendet, wird also noch einige Zeit vergehen. Am grundlegenden Problem der wenig tier- und umweltfreundlichen industriellen Massentierhaltung ändert die Vorabgeschlechtsbestimmung nichts.
Bis die Politik verbindlich handelt, können wir als Verbraucher entscheiden, welches Ei bei uns auf den Tisch kommt und welche Haltungsbedingungen wir damit unterstützen. Was wir kaufen, entscheidet, was und vor allem wie produziert wird. Unser Hunger nach kostengünstigen Eiern ist groß: 235 Eier verzehrt der Deutsche im Jahr, Tendenz steigend. Welche Konzepte und Produktionsbedingungen wirtschaftlich, ökologisch und ethisch vertretbar sind und in welcher Form wir Eier konsumieren wollen, das liegt nach wie vor in unserer Hand.