Vorteile für Entwicklungsländer dank Gentechnik?
Der Genreis „Golden Rice“ soll helfen, die Erblindung von Kindern in Entwicklungsländern zu bekämpfen. Wo es um Gentechnik geht, bekämpfen sich Befürworter und Gegner heftig – doch das Thema ist noch viel tiefgreifender.
Superreis gegen Unterernährung
Während Gentechnik-Gegner vehement gegen den Anbau von gentechnisch verändertem Saatgut kämpfen, weil sie die unkalkulierbaren Risiken und Auswirkungen auf den menschlichen Körper und die Vermischung mit nicht behandeltem Saatgut befürchten, jubeln Forscher und Befürworter. Schließlich sei es mit (gentechnisch veränderten) Superreissorten in den letzten Jahren gelungen, die Zahl von Hungernden und Unterernährten drastisch zu senken.
Gentechnik als Allheilmittel gegen den Hunger der Welt? So einfach ist es leider nicht, wie die Autoren Sandro Christensen und Udo Pollmer im EU.L.E.N-SPIEGEL 2-3/2015 am Beispiel des Genreis „Golden Rice“ detailliert aufzeigen.
Die Superkraft des „Golden Rice“
Der „Golden Rice“ wurde mittels Gentechnik entwickelt und enthält besonders viel β-Carotin, weshalb er auch gelborange leuchtet. (Wobei golden natürlich besser klingt und für den Imagegewinn sicherlich förderlich ist.) β-Carotin wird im Körper zu Vitamin A umgewandelt. Ein Mangel an Vitamin A gilt gemeinhin als Ursache vieler Krankheiten, unter anderem der in Entwicklungsländern verbreiteten Xerophthalmie, die zu Erblindung führen kann. Der goldene Reis kann also, zumindest theoretisch, die Erblindung vieler Kinder verhindern.
Ursache oder Symptom?
So einfach ist es allerdings wie bereits erwähnt nicht. Die Autoren des Artikels im EU.L.E.N-SPIEGEL 2-3/2015 führen detailliert aus, dass der Mangel von Vitamin A nicht unbedingt Ursache, sondern eher Symptom von Krankheiten sei. Denn viele Parasiten und Krankheitserreger könnten Vitamin A nicht selbst herstellen, sondern zapften die Reserven im Blut ihres Wirtes an. In der Folge überlebt der Parasit und breitet sich aus, während logischerweise der Vitamin A-Spiegel im Blut des Wirtes sinkt.
Diese Wechselwirkung wurde unter anderem schon bei Eisen, Folsäure und weiteren Vitaminen und Spurenelementen nachgewiesen. Ein niedriger Eisenspiegel beispielsweise sei in manchen Entwicklungsländern überlebenswichtig, weil er vor Infektionen schütze. Wo Parasiten kein Eisen für ihr Überleben vorfinden, könnten sie den Wirt auch nicht befallen und schädigen, so die einfache Gleichung.
Ein niedriger Vitamin-A-Spiegel sei also nicht per se schädlich. Viel wichtiger wäre es laut den Autoren, „die Infektionserreger, die zu Erblindung führen, zu identifizieren und Therapien dagegen zu entwickeln.“
Ist „Golden Rice“ ist trotzdem sinnvoll?
Die Anwendung bzw. der Anbau und Verzehr von „Golden Rice“ in Entwicklungsländern sei aber dennoch sinnvoll, finden die Autoren. Allerdings nur, wenn dafür die Regierungs- und Entwicklungshilfe-Programme der kostenlosen Abgabe von Vitamin-A-Tabletten gestoppt würden. Der große Vorteil: β-Carotin sei harmloser als Vitamin A, und außerdem könne Reis im Gegensatz zu genormten Tabletten nicht überdosiert werden. So könnten – nach Meinung der Autoren – Erblindung, Erkrankung und (Kinder-)Sterblichkeit in Entwicklungsländern tatsächlich gesenkt werden.
Blick hinter die Kulissen
Der spannende Artikel im EU.L.E.N-SPIEGEL 2-3/2015 zeigt aber noch etwas anderes: Die Diskussionen, Interessen und Interessenskonflikte von Gentechnik-Gegnern und –Befürwortern gehen nämlich noch viel weiter, als vordergründig argumentiert wird.
Einerseits stünden da Organisationen und NGOs, die mit Spendengeldern gegen Gentechnik kämpfen und so könnten eventuelle positive Auswirkungen kaum anerkannt werden, weil damit eben nicht nur der Ruf, sondern auch Spendengelder auf dem Spiel stünden.
Die Gentechnik-Unternehmen auf der anderen Seite hätten alles Interesse daran zu zeigen, dass Gentechnik einen gesundheitlichen Nutzen haben kann. Wenn es ihnen zum Beispiel gelänge, mit dem gentechnisch veränderten „Golden Rice“ das Image aufzubauen, dass ihr Vitaminreis Kinderaugen heilt, stünde der Entwicklung und dem Vertrieb von gentechnisch veränderten Produkten mit gesundheitlichem Zusatznutzen in der westlichen Welt nichts mehr oder zumindest viel weniger Skepsis im Weg. Tür und Tor für die lukrative Vermarktung dieser Produkte wären dann sperrangelweit geöffnet.