Leben im Überschuss: Das System der deutschen Fleischindustrie
Seit geraumer Zeit nimmt der Fleischkonsum in Deutschland ab. Dennoch wird immer mehr Fleisch produziert. Wie passt das zusammen und was passiert mit dem Überschuss?
Gut fünf Millionen Tonnen Fleisch haben die Bundesbürger 2016 gegessen. Deutschland ist also noch weit davon entfernt, ein Land der Vegetarier zu werden. „Seit 2007 ist der Pro-Kopf-Verzehr mit zwischenzeitlichen Schwankungen aber stetig zurückgegangen“, schreibt der „Deutsche Fleischverband“ in einer Presseerklärung. Vor zehn Jahren lag er bei 61.5 Kilogramm, heute essen die Deutschen im Durchschnitt noch rund 60 Kilogramm.
Neuer Schlachtrekord
Trotzdem läuft die Fleischproduktion auf Hochtouren. Nach Angaben des „Statistischen Bundesamts“ haben Deutschlands Schlachthöfe vergangenes Jahr 8.25 Millionen Tonnen erzeugt. „Damit wurde das bisher höchste Produktionsergebnis der gewerblich erzeugten Gesamtschlachtmenge aus dem Vorjahr (8.24 Millionen Tonnen Fleisch) übertroffen“, so die Behörde bei der Vorstellung der Zahlen im Februar.
Die Umweltorganisation „Greenpeace“ geht davon aus, dass die Branche „mit großem Energieaufwand, Futterimporten aus Übersee und Massentierhaltung“ 20 Prozent mehr Fleisch fabriziert als im Inland benötigt wird.
Doch was aber passiert mit der Ware, die hierzulande keinen Abnehmer findet?
Export gefährdet Kleinunternehmen
Gegenüber der „Tagesschau“ erklärt Katrin Wenz vom „Bund für Umwelt und Naturschutz BUND“, dass Deutschland (dank öffentlicher Subventionen für die Branche) zu einem der wichtigsten Fleischexporteure weltweit geworden ist. Allein von Januar bis Mai 2016 gingen 1,6 Millionen Tonnen ins Ausland.
Das ist jedoch ein Problem für Höfe ohne Kapital. Denn große Schlachtereien könnten den Export stemmen – kleinere Betriebe mit Mischwirtschaft hingegen müssten dem Nachrichtenportal zufolge, ums Überleben kämpfen oder hätten längst aufgegeben. Deswegen sei die Zahl der Schweinefleischproduzenten seit 1997 um fast 90 Prozent auf 27.000 geschrumpft.
Billige Importware bedroht Bauern in Afrika
Die Fleischausfuhr stellt auch ein grundsätzliches Problem dar. Zwar werden drei Viertel des Fleischüberschusses ins EU-Ausland ausgeführt, doch von den restlichen 25 Prozent wird ein großer Anteil in riesigen Containerschiffen in Richtung China und Afrika verfrachtet.
Nicht nur unter Umweltaspekten ist dies bedenklich: Die Ware wird zu Dumpingpreisen auf diese Märkte geworfen. Weil sich das importierte Fleisch wegen der niedrigen Preise besser verkauft als die Produkte der hiesigen Bauern, verlieren sie so ihre Existenzgrundlage.
Menschenrechtler kritisieren zum Beispiel immer wieder, dass Geflügel aus Deutschland der Wirtschaft in Afrika zusetzt. Wie die Sendung „nano“ berichtet, mussten neun von zehn Hühnerfarmen in Ghana bereits schießen. Obendrein seien diese Importe auch noch gesundheitsgefährdend für die Bevölkerung, weil die Kühlkette durch die Hitze und häufige Stromausfälle häufig unterbrochen werde.
Für die Tonne
Wie pervertiert das System der Überschussproduktion ist, zeigt, was mit Schlachtgut passiert, das nicht an Händler oder Biogasanlagen verkauft wird – es landet nämlich schlicht und ergreifend auf den Müll. Durch die „Optimierung“ der Tierhaltung und Zuschüsse von EU, Bund und Land ist es für die Züchter inzwischen billiger, Fleischabfälle in Kauf zu nehmen als weniger Tiere zu halten.
Daher sollte es uns nicht wundern, dass Recherchen des „SWR“ zufolge 2012 jährlich 55 Millionen Schweine in Deutschland geschlachtet wurden, aber bis zu einem Drittel von ihnen im Müllcontainer landete.