Lobby der Chemiebranche

Chemiekonzerne verhindern Studien zu Pestiziden

13. Feb. 2015 von

„Schätzungsweise 20.000 Lobbyisten nehmen in Brüssel Einfluss auf die EU-Institutionen. Etwa 70 Prozent davon arbeiten für Unternehmen und Wirtschaftsverbände.“ (lobbycontrol.de)

Zu den einflussreichsten Lobbys gehört die der Chemiebranche. Und wie alle anderen überlässt sie nichts dem Zufall. Laut NGO Lobbyfacts.eu werden hier jährlich mehrere Millionen Euro darauf verwendet, politische Entscheidungen in eine profitable Richtung zu lenken. Wenn’s trotzdem mal nicht so läuft, wie man’s gerne hätte, wird noch mehr Geld investiert – in Anwälte und Gerichtskosten.

Bayer und Syngenta erheben Klage gegen Pestizid-Verbot

So erdreisteten sich die millionenschwer gehätschelten EU-Kommissare doch glatt, im April des vergangegen Jahres den Einsatz dreier Pestizide einzuschränken. Mit der lächerlichen Begründung, dass die enthaltenen Wirkstoffe aus der Gruppe der Neonikotinoide wie ein Nervengift auf Bienen wirken. Seit Jahren geht die Anzahl von Bienen in erschreckendem Ausmaß zurück. Die fleißigen Insekten produzieren jedoch nicht nur Honig, sondern spielen darüber hinaus eine wesentliche Rolle in der Versorgung der Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln.

Erst durch die Bestäubung der Nutzpflanzen, für die zu einem großen Teil die Bienen zuständig sind, können diese Früchte tragen. Das Bienensterben führt also über kurz oder lang zu einer Nahrungsmittel-Verknappung. Für die Chemie-Konzerne spielt das aber keine Rolle. Wichtig ist nur, dass der EU-Beschluss ihre Umsätze schmälert. „Wir sind überzeugt davon, dass die EU-Kommission irrt, wenn sie Thiamethoxam mit der Verschlechterung der Bienengesundheit in Verbindung bringt“, äußerte sich John Atkin, Geschäftleiter von Syngenta. Zugleich warf er der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), auf deren Forschungsergebnisse das Verbot der bienenschädlichen Pestizide zurückgeht, vor, sie habe ungenau und unvollständig geprüft. Das gesamte Verfahren sei fehlerhaft gewesen. Klar, seinem Unternehmen wirtschaftliche Einbußen zu bescheren, kann nur ein Fehler sein.

Dazugelernt: „harmonisierte Anwendung“ alarmierender Studien

Inzwischen haben die EU-Kommissare wohl eingesehen, dass man mächtigen Großkonzernen nicht dieserart ans Bein pinkeln darf. Eine weitere EFSA-Studie, die laut einer Umwelttoxikologin von Pesticides Action Network das Verbot von ganzen 31 Pestiziden nach sich gezogen hätte, ließ man lieber unter den Tisch fallen. Schließlich geht es hier um einen jährlichen Marktwert von acht bis neun Milliarden Euro (gemäß European Crop Protection Association).

Die Studie befasste sich mit endokrin aktiven Substanzen (EAS), auch Endokrine Disruptoren genannt. Diese Stoffe können durch Veränderungen des Hormonsystems die Gesundheit schädigen. Enthalten sind sie in Holz-, Pflanzen- und Vorratsschutzmitteln, in Verpackungsmaterial und in Bestandteilen von Kunststoffen.

„Da EAS Gesundheitsgefahren für Tiere und Menschen darstellen können, und ihre tatsächliche Bedeutung für den tierischen und humanen Stoffwechsel noch weitgehend unerforscht ist, werden sie seit einigen Jahren in der Öffentlichkeit sowie von Wissenschaft und Politik kontrovers diskutiert. Einige EAS werden aufgrund ihrer endokrin aktiven Eigenschaften gezielt in der Medizin eingesetzt (z. B. Antibabypille)“, erklärt Wikipedia den Begriff.

Schon vor 16 Jahren bezeichnete der Wissenschaftliche Ausschuss für Toxizität, Ökotoxizität und Umwelt der EU-Kommission die Verwendung dieser Substanzen als „potenzielles globales Problem“. Wie sich EAS auf Lebewesen auswirken, beschreibt EurActiv.de: „Sogenannte Endokrine Disruptoren gefährden die gesunde Entwicklung von Organismen. Die Stoffe sind mitverantwortlich für Missbildungen insbesondere bei Fischen und Amphibien – und werden von einigen Wissenschaftlern und Umweltschützern verdächtigt, auch beim Menschen für eine ganze Reihe von Erkrankungen und Fehlentwicklungen mit verantwortlich zu sein: Hoden- und Prostatakrebs, verringerte Spermienzahl, Unfruchtbarkeit, Hodenhochstand bei den Männern bzw. Brust-, Eierstock- und Gebärmutterhalskrebs bei den Frauen. Außerdem wird ein Zusammenhang mit Schilddrüsenkrebs, Frühgeburten, Frühreife, Übergewicht, Diabetes und dem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS) vermutet.“

Arthur Neslen von der britischen Tageszeitung „The Guardian“ deckte nun auf, dass der Einsatz von Druckmitteln durch Interessensvertreter betroffener Hersteller tatsächlich zur Folge hatte, dass die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen gemäß der EFSA-Studie gestoppt wurde. Dem Guardian gegenüber sagte ein Mitarbeiter aus dem Kreis der EU-Kommission, der namentlich nicht genannt wird: „Wir waren bereits so weit, die Kriterien anzuwenden und eine Handlungsempfehlungen auszusprechen. Tatsächlich wurden diese Kriterien verhindert.“ Die Mitarbeiter seien statt dessen angehalten worden, Möglichkeiten einer „harmonisierte[n] Anwendung“ der zur Debatte stehenden Kriterien zu finden.

Diese neue Zielsetzung hat EU-Generalsekretärin Catherine Day veranlasst. Dem Guardian gegenüber hebt sie hervor, „dass es nicht der Wahrheit entspricht, unsere Verhandlungen und abschließende Position sei von der Industrie beeinflusst“. Gemäß dem Motto ‚Opium für’s Volk‘ stellt sie ihre Beweggründe ganz im Gegenteil als Ungereimtheiten die internen Abläufe betreffend dar: Es habe Unstimmigkeiten zwischen den Generaldirektionen Gesundheit und Lebensmittelsicherheit und dem Ausschuss für Umweltfragen gegeben.

„Sie haben in unterschiedliche Richtungen gearbeitet, was keinen Sinn ergeben hat, so dass ich interveniert und eine gemeinsame Risikofolgenabschätzung forciert habe – mit dem Ziel, eine Analyse zu erhalten, auf deren Grundlage die Kommission weiterarbeiten kann“, umreißt sie ihre tragende Rolle in diesem skandalösen Possenspiel.

Quellen:

http://green.wiwo.de/pestizide-verhinderten-chemiekonzerne-kritischen-eu-bericht/

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/chemiekonzern-bayer-klagt-gegen-pestizid-verbot-nach-bienensterben-1.1756210

https://www.ugb.de/forschung-studien/edokrine-disruptoren-hormone-aus-der-umwelt/

http://de.wikipedia.org/wiki/Endokrine_Disruptoren#Europ.C3.A4ische_Union

http://www.euractiv.de/forschung-und-innovation/linkdossier/endokrine-disruptoren-schaedlich-oder-nicht-000151