Die dunkle Seite der Lebensmittelindustrie
Joanna Blythman, britische Autorin und Journalistin, taucht in ihrem neuen Buch „Swallow This: Serving Up the Food Industry’s Darkest Secrets“ tief in die Machenschaften der Lebensmittelindustrie ein.
Wir Konsumenten werden immer hellhöriger. Wo früher im Supermarkt wahllos zugegriffen wurde, wird heutzutage alles genauer unter die Lupe genommen. Genau studieren wir die Packungsinhalte, manche werden sogar zu richtigen „Food Facts“-Experten. Produkte mit vielen E-Nummern und chemischen Bezeichnungen versuchen wir möglichst zu vermeiden, da sie allgemein als künstlich und ungesund gelten. Viele haben gelernt, dass unser Essen voll mit künstlichen Inhaltsstoffen ist. Der Trend zu biologisch hergestellten und organischen Lebensmitteln wächst weiter an. Der Kunde macht sich heute mehr Gedanken, was er konsumiert, als noch vor einem Jahrzehnt.
„Food Creation“ ist ein neuer Wirtschaftszweig
Aber auch die Lebensmittelindustrie hat dazu gelernt. Ein neuer Wirtschaftszweig ist entstanden. „Food Creation“ – die künstliche Herstellung von Lebensmittel und deren Zutaten. Das Motto der Hersteller: „When technology meets nature, you save“. Diese Lebensmittel werden von Menschen hergestellt, deren natürliches Umfeld das Labor und die Fabriken sind, nicht die Küche, die Farm oder das Feld. Menschen, die dieselbe Ansicht teilen: Alles, was die Natur kann, kann der Mensch besser und profitabler.
Guardian-Reporterin Joanna Blythman hat sich unerkannt in eine Frankfurter Lebensmittel-Messe begeben und entdeckt, dass nicht einmal Fruchtsalat mehr das ist, was es zu sein scheint. Diese dreitägige Messe beherbergte die weltweit wichtigsten Hersteller, Verteiler und Käufer von Lebensmittelzutaten. Für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, verschaffte sich die Reporterin unter falscher Identität Zutritt. Die Stände der Aussteller waren eher wie Kunstinstallationen aufgebaut, als im traditionellen Stil von Grossmutters Küche. Leuchtende Glassregale, grelle, neonfarbige Verkleidungen und in pyramidenförmig angeordnete Behälter mit Pulver und Flüssigkeiten quer durch die gesamte Farbpalette. „Das hier ist die Zukunft!“, so lautete wohl die Botschaft der Aussteller.
Günstiger oder natürlicher?
Ein Verkäufer von Backwaren offerierte Häppchen seiner neuesten Tortenkreation. Seine kristallförmigen Törtchen sahen aus wie im Schaufenster eines Konditors: Cremig, fruchtig-farbig und mit Schokoladenüberzug. Sein Produkt entstand jedoch ganz ohne die Hilfe von Eiern, Butter oder Rahm. Dank einem Protein-Isolat, das aus Kartoffeln hergestellt wird, konnte er die Beschaffenheit, das Volumen und Bissgefühl einer traditionell gebackenen Torte genau nachbilden – und das zu einem günstigeren Preis.
An einem anderen Stand wurden verschiedene Früchte- und Gemüsesorten ausgestellt. Aufgeschnittene Äpfel, Kiwis und Karotten wurden dem Besucher gezeigt. Das Seltsame daran aber war, dass daneben das Ablaufdatum der Waren stand. Sie alle hatten das Datum längst überschritten, sahen aber wunderbar frisch und appetitlich aus. Der Verkäufer erklärte Reporterin Blythman, dass alle Waren mit einem seiner Produkte bearbeitet wurden. Eine chemische Lösung namens „NatureSeal“ schenkt den Lebensmitteln 21 zusätzliche Tage Genießbarkeit. Dieser Behandlung unterzogen, werden Äpfel nicht braun, Karotten trocknen nicht aus und Kiwis und Melonen werden nicht matschig. Einmal in „NatureSeal“ eingetaucht und alles erscheint frisch und natürlich.
Curcuma statt E100
Um die Lebensmittel aus dem Labor auch dem Normalkunden schmackhaft zu machen, hat sich die Industrie etwas cleveres ausgedacht. Zutaten, welche eine chemische und somit abschreckende Wirkung haben, bekommen einen besser klingenden, natürlicheren Namen. Eigene Marketing-Agenturen verhelfen den Produzenten so zu einem sogenannten „Clean Label“. Wo früher auf der Verpackung einer Tomatensuppe „E100“ stand, steht jetzt „Curcuma“. Klingt besser.
So gut wie alles, kann von der Industrie unbenannt werden. Das Adjektiv „natürlich“ wird vielversprechend vor Zutaten wie Mehl oder Protein gesetzt, obwohl diese Ingredienzen meist massenhaft künstlich hergestellt werden und so gut wie keinen natürlichen Ursprung mehr haben. Diese „sauberen“ Food Facts sind die Antwort der Industrie auf die immer größer werdende Nachfrage an natürlich hergestellten Lebensmitteln.
Durch im Labor hergestellte Zutaten spart man Kosten und Zeit. Die Gewinnspanne wird somit enorm erhöht. Chemische Bezeichnungen werden kurzerhand mit natürlich klingenden Namen geschmückt. Dem Kunden wird so suggeriert, er esse etwas, das nach Grossmutters Kochkünsten schmeckt, dabei kommt es von Menschen in weißen Kitteln und Atemschutzmasken.
Giftige Chemikalien
Nahrungsmittelhersteller können heutzutage einen Käse kreieren, dessen „gereifter“ Geschmack innerhalb von 24 bis 72 Stunden entsteht. Auf natürlichem Weg dauert dieser Prozess Monate. Wir alle essen Produkte, die dank neuester Technologie länger haltbar sind, schöner aussehen und mehr Geschmack haben. Künstlich hergestellte Lebensmittel enthalten oft Chemikalien, die giftig sind.
Was diese künstlich hergestellten Zutaten mit unserem Körper anstellen, ist heute schwer einzuschätzen. Es gibt noch keine Langzeitstudien, da diese Entwicklung relativ neu ist. Wer sein Schicksal aber nicht in die Hände von Produzenten und Verkäufern legen will, sollte sich gut informieren, was er zu sich nimmt und vielleicht etwas kritischer durch den Supermarkt gehen.
Auf diese Produkte ist (hoffentlich) Verlass: