Tierversuche, um Menschenleben zu retten

Das Schwein als Organspender – ist das noch vertretbar?

09. Juni 2016 von

Viele Menschen warten aufgrund schwerer Krankheiten jahrelang auf eine Organspende. Doch sehr häufig findet sich kein passender Spender. In Amerika versucht man sich am Züchten von menschlichen Organen. Und zwar in lebenden Schweinen.

Zwischen Science-Fiction und dem Schauerroman Frankenstein bewegt sich die Forschung amerikanischer Wissenschaftler und Tiermediziner an der Universität von Kalifornien. Ihnen ist es vor kurzem gelungen, menschliche Stammzellen in tierische Embryonen einzubauen. Die Forscher hoffen, auf diese Weise Schweine als Organlieferanten nutzen zu können.

Schweineembryonen mit menschlichen Stammzellen

Hierzu haben die Forscher den Schweineembryonen in einem sehr frühen Zellstadium genau das Erbmaterial herausgeschnitten, das zur Bildung einer Bauchspeicheldrüse führt. Danach setzten sie dem Embryo an die frei gewordene Stelle menschliche Stammzellen ein. Die verwendeten Stammzellen – sie werden „induzierte pluripotente Stammzellen“ genannt – können wie bei einem menschlichen Embryo alle möglichen Gewebearten ausbilden. Die Hoffnung der Forscher: Dass die Zellen selbst erkennen, dass eine Bauchspeicheldrüse fehlt. Und eine menschliche Bauchspeicheldrüse im Schwein bilden.

Die Embryonen wurden einer Sau eingesetzt. Nach 28 Tagen brachen die Wissenschaftler die Schwangerschaft ab und untersuchten die Embryonen. Sie stellten fest, dass sich ansatzweise Bauchspeicheldrüsengewebe aus den menschlichen Stammzellen entwickelt hatte. Während vor allem Tierschützer nun fordern, dass so schnell wie möglich verpflichtende Richtlinien für die Vermischung von menschlicher und tierischer DNA in der medizinischen Forschung erarbeitet werden, entwerfen Kritiker der Forschungsrichtung Gruselszenarien von viel zu intelligenten, menschlichen Schweinen.

Forschung an Schweinen bereits seit vielen Jahren

Die Idee, Schweine als Organspender zu nehmen ist nicht so neu und abgefahren, wie sie vielleicht klingt. Seit einigen Jahrzehnten schon wird geforscht, ob Organe von Schweinen als Transplantat für Menschen geeignet sein könnten, und unter welchen Bedingungen. Das Verfahren heißt „Xenotransplantation“, und hat schon vor der Jahrtausendwende für viel Diskussionsmaterial gesorgt. Ein Problem der Xenotransplantation: Die potentielle Gefahr einer Ausbreitung bisher unbekannter Krankheiten. Die Zellen von Tieren enthalten nämlich unter anderem eingebaute, inaktive Viren. Das ist auch beim Menschen so – es gibt Virenstämme, die bereits in unseren Zellkern eingebaut sind. Der menschliche Organismus hat sich mit ihnen arrangiert. Wie er allerdings auf die Viren im Zellkern der Schweine reagieren würde, ist vollkommen unklar. Ein anderes Problem besteht in der massiven Abstoßungsreaktion des menschlichen Körpers auf fremdes Gewebe, die bei tierischem Gewebe noch höher ist als ohnehin nach einer Transplantation. (Quelle)

Genau diesen medizinischen Problemen versucht nun die neue Forschungsrichtung Herr zu werden. Indem das gewünschte Organ beim Schwein bereits im frühesten embryonalen Stadium durch menschliche Stammzellen ersetzt wird. Glückt das Experiment, entsteht eine Chimäre, ein Mischwesen, das aussieht wie ein Schwein, aber über menschliche Bauchspeicheldrüsen, Nieren oder eine menschliche Leber verfügt.

Das gezüchtete Organ kann als Spendeorgan entnommen werden – der Jargon spricht zynischerweise von „Ernten“. Für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Chimärenforschung könnten in Zukunft Wissenschaftler im Bereich Xenotransplantation mit den amerikanischen Forschern zusammen arbeiten. So könnten Tiere designt werden, deren einziger Zweck es ist, ein lebensfähiges menschliches Organ zu tragen, bis es benötigt wird. Aber die Wissenschaft kümmert sich lediglich um die naturwissenschaftliche und medizinische Umsetzbarkeit. Die wichtigsten Fragen werden dabei nicht beantwortet.

Die Ethikfrage: Dürfen wir das?

Wie stark dürfen wir in die Natur eingreifen und diese für unsere Zwecke verändern? Wie viel tierisches Leid ist für das Wohl des Menschen eigentlich gerechtfertigt? Und wo ziehen wir die Grenze? Die Kurzantwort auf diese Fragen lautet: Es ist kompliziert.

Schon heute werden eine Vielzahl intelligenter und fühlender Wesen für medizinische Forschung verwendet. Tumorzellen werden in Mäuse eingepflanzt, um die Entwicklung bestimmter Krebsarten besser voraussagen zu können und neue Krebstherapien zu entwickeln. Impfungen und neue Medikamente werden immer erst an Tieren ausprobiert, bevor sie in den sogenannten „First-in-man“- Studien am Menschen getestet werden.

All dies billigen wir mal mehr, mal weniger. Wir fordern strengere Gesetze zum Tierschutz und unterschreiben Petitionen gegen das Max-Planck-Institut, weil es an Primaten forscht. Aber wir fürchten uns auch davor, dass wir niemals ein Heilmittel gegen Krebs finden werden, oder dass wir einmal von jemandem Abschied nehmen müssen, der keinen passenden Organspender gefunden hat. Wir wollen leben, und rechtfertigen dafür den Einsatz von Tieren. Die Frage ist: Gibt es einen Konsens, bis zu welchem Grad wir unseren Umgang mit der Welt ethisch vertreten können? Und wie können wir diesen Konsens, sofern wir ihn finden, in verbindlichen Gesetzen festschreiben, die medizinische Forschung nicht verhindern, ihr aber Grenzen setzen?

Der Tierschützer Peter Stevenson von der britischen Organisation Compassion in World Farming erklärt gegenüber der ZEIT: „Ich werde nervös, wenn ich daran denke, dass wir eine neue Ursache für tierisches Leid erschaffen“. Ein kluger Satz, der einmal mehr das Augenmerk auf unseren insgesamt problematischen Umgang mit Tieren richtet. Und so sieht er in einer Reduktion unseres Fleischkonsums eine Basisvoraussetzung für die weitere Forschung in dieser Richtung. Damit wenigstens nicht noch mehr Tiere leiden müssen als für die Menschheit ohnehin bereits. Denn sollte das Vorhaben der Forscher gelingen, wäre die Zahl der dafür gezüchteten und getöteten Tiere noch gar nicht abzusehen.

Viel zu wenige Menschen sind Organspender

Die Forschung, die nüchtern betrachtet sicher noch in den Kinderschuhen steckt, macht ein großes Problem sichtbar: Trotz Aufklärung ist die Zahl der Organspender weltweit viel zu gering. In Deutschland ist sie sogar so gering, dass statistisch gesehen pro Tag drei Menschen sterben, weil sich kein passendes Organ findet. Nach derzeitigem Stand müssten sich noch viel mehr Menschen zu Organspenden bereit erklären. Wäre es nicht schön, wenn sich die Forschung an Tieren als Organlieferanten damit irgendwann erübrigen würde?